Schweizer Bildungsbericht 65+: Ergebnisse fordern lebenslange Bildung für eine aktive Generation
Der Schweizerische Verband der Seniorinnen- und Seniorenuniversitäten (U3) und der Verband der Schweizerischen Volkshochschulen (VSV) haben Ende 2023 den Schweizer Bildungsbericht 65+ veröffentlicht. Dieser erste Bericht seiner Art stellt fest, dass trotz der grossen Bedeutung des lebenslangen Lernens sowohl auf kantonaler als auch auf Bundesebene wenig in öffentliche Bildung ab 65 Jahren investiert wird. Ein Grund liegt unter anderem darin, dass bisher kein Qualitäts-Monitoring bestand. Der Bericht soll das nun ändern. Der Bericht beschreibt den Ist-Stand der öffentlichen Bildungslandschaft 65+ und identifiziert Notwendigkeiten wie den Bedarf an Ressourcen. Bildungsanbietende finden z.B. Hinweise auf gewünschte Themen und Lernformen, und sie können sich über grösstenteils positive Bewertungen freuen. Wir heben hier vier Aspekte hervor, die über die Auswertung von Angeboten hinausgehen – in Kurzform (aber ja, das liegt wohl im Auge der Lesenden 😉).
Die Stichprobe
- Befragte Personen: 5’671
- 4’131 von 9 Seniorenuniversitäten
- 1’540 von 9 Volkshochschulen
- Durchschnittsalter: 72,7 Jahre
- Altersspanne: 60 – 98 Jahre
- Fragebögen (vorwiegend online)
- Schwerpunktthema: Digitalisierung & Techniknutzung
Welche Gründe haben Sie zur Teilnahme an Bildungsangeboten?
Ich halte nicht viel von Stillstand. Ich bin davon überzeugt, dass lebenslanges Lernen die Lebensqualität verbessert. Auch in der nachberuflichen Lebensphase möchte ich mich weiterentwickeln und offen bleiben für Themen, die unsere Gesellschaft bewegen oder bewegen sollten.
Erica Benz-Steffen, Mitglied der Seniorenuniversität Zürich
Auf diese Frage gibt es verschiedene Antworten, und so wurden in der Studie verschiedene Gründe vorgeschlagen (siehe Grafik). Am meisten Zustimmung erhielt der Grund, dass die Befragten ihre Allgemeinbildung erweitern möchten. Im Überblick sind eher intrinsische Motive ausschlaggebend, also Beweggründe aus einer Person selbst heraus. Lernen wird vorwiegend nicht als Pflicht wahrgenommen, sondern als sinnstiftende Freizeitbeschäftigung zur Wissenserweiterung, als Selbststärkung und auch zum Ausprobieren von Neuem. Bemerkenswert ist, dass der Themenbereich «Geschichte, Kulturgeschichte, Gesellschaft und Politik» als am wichtigsten erachtet wird. Diese Ergebnisse sind auch bildungspolitisch relevant, denn für die Befragten steht die Offenheit für neue Entwicklungen, sinnhaftes Tun, geistige Fitness und gesellschaftliches Engagement gegenüber Angeboten im Gesundheitsbereich klar im Vordergrund.
Wie bewerten Sie «Bildung im Alter»?
Bemerkenswert sind auch die Erkenntnisse auf subjektiven Fragen rund um das Thema «Bildung im Alter». Im Älterwerden sehen die Befragten vor allem Chancen und die Ergebnisse zeichnen ein sehr positives Altersbild ab:
- «Älterwerden bedeutet für mich, dass ich weiterhin in der Lage bin, neue Dinge zu lernen»
wurde von 98% der Befragten bestätigt. - «Auch im Hohen Alter kann ich mich für Bildung motivieren»
wurde von 98% der Befragten bestätigt. - «Älterwerden bedeutet für mich, dass ich weiterhin viele Pläne machen»
wurde von 91% der Befragten bestätigt.
Vielleicht könnten wir genau von dieser Zielgruppe lernen, durch welche Faktoren sich ein positives Altersbild entwickelt, sich über die Jahre aufrechterhalten, und sich stärken lässt?
Wie lernen Sie am liebsten? Online vs. Präsenz
Mit Blick auf Bildungsangebote vor Ort oder Online, gab die Mehrheit der Befragten an, dass sie lieber in Präsenz lernen möchten. Jedoch bevorzugt fast die Hälfte der Befragten eine Onlineteilnahme, insgesamt 45%. Der Vorteil von Onlineangeboten, nämlich dass zeit- und ortsungebunden gelernt werden kann, wurde hervorgehoben. Diese Ergebnisse machen Mut, weiter an Online-Lernformen zu forschen und zu entwickeln, mit den Zielen
- die Angebotspalette zu erweitern,
- unterschiedlichen Lebenssituationen gerecht zu werden
- und auf die Nachfrage nach massgeschneiderten Bildungsangeboten (die sich seit 2012 fast vervierfacht hat) zu antworten.
Der «Matthäus-Effekt» als Herausforderung
Der Bericht zeigt allerdings auch, dass vor allem bildungsnahe Personen die Angebote nutzen, was z.B. an der biografischen Nähe der Befragten sichtbar wird: 29% waren in einer Schule oder in der Erwachsenenbildung angestellt. Menschen, die gut ausgebildet sind, nutzen Bildungsangebote auch im Alter häufiger und profitieren, während Personen mit geringerer Vorbildung deutlich seltener teilnehmen. In der Altersforschung wird hier vom «Matthäus-Effekt» gesprochen: «Wer hat, dem wird gegeben». Das stellt eine Herausforderung dar, denn der Vorteil von mehr, und in Folge noch mehr Bildung, wirkt sich im Alter dann am stärksten aus. Um Chancengleichheit zu fördern und damit möglichst viele profitieren, sollten massgeschneiderte Bildungsangebote entwickelt werden, die auf die Vielfalt der Teilnehmenden eingehen.
Fazit
Die Ergebnisse aus dem Schweizer Bildungsbericht 65+ von 2023 zeigen, welche wichtige Rolle Bildungsangebote im Leben der Befragten spielen: als selbst gewählte sinnstiftende Freizeitbeschäftigung zur Wissenserweiterung, Selbststärkung und zum Ausprobieren von Neuem. Die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen und vielfältigen Bildungsangeboten steigt, und gleichzeitig fehlen öffentliche Investitionen im Bildungssektor 65+. Es wird sehr deutlich, dass die Befragten eine gesellschaftlich aktive Rolle und damit eine aktive Förderung von Bildung für die gesamte Lebensspanne einfordern. In der Bildungsforschung sind wir gefragt, die Ergebnisse schneller als bisher von der Theorie in die Praxis vor Ort und online zu übersetzen.
Den ganzen Bildungsbericht können Sie hier herunterladen:
Literaturverzeichnis
Huber, N. & Bauer, M. (1. März 2022). Ich halte nicht viel von Stillstand. UZH News. https://www.news.uzh.ch/de/articles/2022/seniorenuniversitaet.html
Seifert, A., Martin, M., Lanarés, J., Schärer, H.‑R., & Knüsel, P. (2023). Schweizer Bildungsbericht 65+ 2023. https://uni-3.ch/images/pdf/U3-Befragung_Bericht_2023/U3_VHS_Bericht_23_Deutsch.pdf
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